Wenn es etwas gab, das Krause wirklich hasste, dann war das für sich selbst einzukaufen. Das bedeutete, er machte es nicht etwa ungern oder widerwillig. Es bedeutete, dass er dem für-sich-selbst-Einkaufen den Krieg erklärt hatte. Er bekämpfte das für-sich-selbst-Einkaufen, wo immer er ihm begegnete. Dabei ging es nicht darum, dass er dafür seine Behausung verlassen musste, oder dass er in Kontakt mit vielen anderen Menschen kam. Das konnte er alles wegstecken, wenn es sein musste. Was er aber auf den Tod nicht ausstehen konnte waren Menschen, die ihm etwas verkaufen wollten. Krause hatte mal in einem Land gelebt, in dem fast niemand etwas verkaufen wollte. Wenn man dort als Kunde in einen Laden kam, wurde man entweder gar nicht beachtet oder es bellte einem gleich jemand „Ham wa nich!!“ entgegen. Es gab dort gar nichts zu verkaufen und folglich auch nichts zu kaufen. Dieses Land erschien ihm heute in dieser Hinsicht wie das verlorengegangene Paradies.
Leider brauchte der Mensch im Allgemeinen und Krause im Besonderen aber nun hin und wieder ein paar Dinge. Kleidung zum Beispiel. Kleidung verschliss nun mal und dann musste man neue kaufen, wenn man kein Schneider war. Krause hatte gedacht, dass er einen Weg gefunden hatte, wie er dieses Problem ein für alle Mal lösen konnte. Es gab eine Internetseite, auf der man ein Paket bestellen konnte. Man brauchte nichts auszusuchen sondern nur anzugeben, was man auf gar keinen Fall haben wollte, zum Beispiel Krawatten oder geblümte Hemden mit großen Kragen. Krause bekam ein Paket von Melissa und sollte, was er nicht behalten wollte, innerhalb von zwei Wochen zurückschicken. Er überlegte kurz, ob er nach zwei Wochen nicht alles zurückschicken sollte und einfach neu bestellen. Dann brauchte er gar nichts zu bezahlen und wäre immer ordentlich angezogen. Er behielt dann aber doch die Hälfte und zahlte das Doppelte von dem, was er sonst für Kleidung ausgegeben hätte. Aber er war zufrieden. Neu gekaufte Kleidung trug Krause normalerweise mindestens zehn Jahre lang. Solange wollte er vom Kleidung einkaufen jetzt nichts mehr hören.
Am nächsten Tag fragte Melissa per Mail, wann sie ihm wieder ein Paket schicken dürfe. Krause suchte auf der Website und fand eine Seite, auf der er seine Kontaktpräferenzen einstellen konnte. Er wählte alles ab. Er wollte weder E-Mails von Melissa, noch Kurznachrichten aufs Telefon und schon gar keine Anrufe. Zwei Tage später kam wieder eine Email von Melissa, in der sie fragte, ob es das jetzt schon mit ihnen gewesen sei? Sie klang ein bisschen eingeschnappt. Krause löschte seinen Account auf der Website.
Am Anfang der darauf folgenden Woche klingelte das Telefon. Krause nahm ab.
„Hallo“
„Hier ist Janina, Hallo“ Dann nannte Janina ihn beim Vornamen. Krause war kurz verwirrt, denn seinen Vornamen kannte er selbst nicht. „Ich rufe im Auftrag von Melissa an, ob wir dir mal wieder eine Box schicken dürfen?“
Krause setzte sich.
„Was für eine Box?“ fragte er. „Hier ist die Beratungsstelle für alleinerziehende Call-Center-Mitarbeiterinnen. Was kann ich für Sie tun, Janina?“
„Oh“ machte Janina.
„Sie sind gar nicht alleinerziehend? Das macht nichts, Janina. Wo drückt der Schuh, hm? Raus damit!
„Also ich glaube nicht...“
„Warten Sie! Wird dieses Gespräch mitgeschnitten? Dann legen Sie sofort auf und rufen Sie auf einer sicheren Leitung zurück!“
„Nein! Ich...“
„Gut. Janina, ich möchte Sie mal was fragen. Machen Sie das eigentlich beruflich?“
„Was? Ja...“
„Sie bekommen also Geld dafür, dass Sie Leute anrufen, die nicht angerufen werden wollen? Wieviel? Reicht es zum Leben? Wo ist ihr Kind jetzt?“
„Hören Sie auf, mich zu verarschen. Ich lege jetzt auf!“
„Aber Sie haben mich doch angerufen. Hallo?“
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