Es war einmal ein Huhn, das lebte in lauter Glück und Freude und es war darüber ganz froh und vergnügt. Und es sprach bei sich selbst: Ich bin doch ein rechtes Glückshuhn, ja! Dass ich alle Tage so voller Freude aufwache und den lieben langen Tag lang froh und vergnügt bin, ja, das ist doch ein wahres Glück! Und das Huhn glaubte nicht anders, als dass es ihm in seinem Leben an nichts fehlen würde und dass es sich nach gar nichts sehnte. Darüber wurde es noch froher und glücklicher und es wiegte sich und badete in seinem reichen Glücke. So sah es vom Standpunkte des Huhns tatsächlich aus. Aber alle, die das Huhn von einem anderen Standpunkte aus beobachteten, sahen etwas anderes. Sie schüttelten ihre Köpfe und sprachen untereinander: Ach, was ist es nur mit unserem Huhn? Es muss allein leben und hat nicht, mit wem es Freud und Leid könnte teilen. Es muss sein kümmerliches Futter allein aufpicken und sitzt zur Nacht ganz einsam auf seiner Hühnerstange. Und dabei glaubt es, es sei glücklich. Es weiß ja aber doch nichts vom wahren Glücke! Macht dies sein Unglück nicht noch schlimmer und erbärmlicher, als wenn es darum wüsste? Ach, unser Huhn ist doch ein rechtes Unglückshuhn.
So lebte das Huhn nun viele Jahre in seinem vermeintlichen Glücke und glaubte nicht anders, als wäre es sich selbst genug. Einmal begab es sich aber, dass das Huhn eine Bekanntschaft machte. Die wuchs ihm so recht ans Herze und voller Staunen und ganz und gar ungläubig wurde es gewahr, dass es vielleicht doch nicht ganz allein auf der Welt sein müsste und dass das Leben reicher und voller sein könnte, als es ihm sein behaglicher Hühnerstall und sein kleiner Hühnerhof glauben machen wollten. Es müsste nur aus dem Hühnerhof hinaustreten und dann Stall und Hof und damit sein vermeintliches Glück hinter sich lassen. Jenes würde es zwar verlieren, aber es gab ganz offensichtlich eine ganze Welt zu gewinnen und ein volles und reiches Leben dazu.
Aus der Bekanntschaft des Huhns war Liebe geworden und es war nun bereit. Bereit, das Glück hinter sich zu lassen, es gegen das Leben einzutauschen. Denn das Glück kam vielleicht auf einen zu, aber es blieb niemals, sondern es eilte vorüber und sah man seinen Rücken, war es das Unglück. Das eine gab es nicht ohne das andere. Das Leben dagegen war zwar manchmal schwer und traurig aber auch großartig und das Leid hatte seinen Platz darin, wie die Freude. Vor allem aber konnte man selbst und miteinander darin sein, es nahm einen mit und fuhr nicht einfach nur vorüber, wenn man sich darauf einließ. Das wollte das Huhn: Mit seiner Liebe im Leben sein, solange es ging und alles darin erfahren, was es zu erfahren gab. Als es aber mit seiner Liebe zusammen war, da spürten sie beide auf einmal, dass sie ja Flügel hatten. Und da wussten sie es: wenn sie sich nur liebten, einander vertrauten und fest aneinander glaubten, dann, ja dann -
würden sie fliegen.
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