Niemals

Anja hat mir geschrieben. Sie findet es traurig, dass unser gemeinsamer Weg nun bald endet, aber sie dankt mir für die gute Zeit. Es wäre eine schöne Zeit gewesen und sie freue sich auf unser baldiges Wiedersehen. Wiedersehen kann man aber nur jemanden, den man zuvor schon mal gesehen hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das bei Anja und mir nicht der Fall war. Ich habe den Vertrag mit meinem Stromversorger gekündigt und jetzt tun sie so, als wären wir zusammen in einer Tonne die Niagarafälle hinabgestürzt. Unser gemeinsamer Weg, so schreibt mir Anja, wäre der Weg zur Energiewende gewesen. Auch das glaube ich nicht. Mein Stromversorger verkauft zwar zertifizierten Ökostrom aus deutscher Wasserkraft. An der Steckdose merkt man davon aber leider gar nichts und es wird auch nichts helfen, solange Kohle- und Atomstrom weiter produziert werden und billiger sind. Aber Anja hat vielleicht Seminare besucht, die ihr vermittelt haben, dass die Kunden sich über solche Emails freuen. 

Während ich dies schreibe, ist mir schon klar, dass derlei Informationen nicht weiter von Interesse sind. Ich muss aber etwas schreiben, weil ich im ICE an einem Tisch des Bordrestaurants sitze. Am selben Tisch haben zwei weitere Fahrgäste Platz genommen, die mir beide gegenübersitzen. Da der Blick aus dem Fenster nur mit schmerzhaftem Halsverdrehen möglich ist, muss man halt sehr beschäftigt wirken, wenn man nicht am Ende in ein Gespräch verwickelt werden will. Nachdem nun einige Zeit verstrichen ist, kann ich feststellen, das in dieser Hinsicht keine Gefahr bestand. Mein direktes Gegenüber hat sich grade seinen Laptop geholt und mein schräges Gegenüber stellt sich schon die ganze Zeit schlafend. Obwohl er ein volles Hefeweizen vor sich stehen hat! Das kann ja wohl nicht sein. Ich bin auch schon öfter bei offenem Bier eingeschlafen, aber noch nie beim ersten und schon gar nicht beim vollen. Apropos Hefeweizen: Man muss sich fragen, welche Berufsgruppen eigentlich in so einer Bordgastronomie beschäftigt werden. Von Gastronomie verstehen sie jedenfalls nichts. Die Speisen servieren sie in der Originalverpackung und vergessen sogar, sie in der Mikrowelle aufzuwärmen. Gerade habe ich mein Hefeweizen bekommen und verstehe jetzt, warum sich mein Tischnachbar schlafend gestellt hat. Ich möchte mich tot stellen. Der Kaffee im Pappbecher dürfte eine identische Temperatur aufweisen. 

Elon Musk will der Bahn jetzt mit dem Hyperloop Konkurrenz machen. Ach, naja. Man könne in einer Stunde von Berlin nach München fahren. Das würde mir aber gar nicht helfen, denn ich will gar nicht nach München. Außerdem haben sie herausgefunden, dass die Bahnanlagen für das Verkehrsaufkommen nicht mehr ausreichen. Aber die Röhren für den Hyperloop müssen ja auch erst mal gebaut werden. Es gibt nur eine Lösung gegen den Verkehrsinfarkt: Einfach da bleiben, wo man ist. Darum ziehe ich jetzt um. Und Anja wird mich niemals sehen. 

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