Fünf Tage und ein Rucksack

Die Taschenmode gehört unbestritten zu den am schwersten zu durchschauenden Regeln des menschlichen Zusammenlebens. Als mein Vater noch berufstätig war, stand die Aktentasche unangefochten an der Spitze der Accessoires für männliche Arbeitnehmer. Niemand wäre auf die Idee gekommen, mit einem Campingbeutel auf dem Rücken zur Arbeit zu gehen. Das ging so weit, dass auch der rucksackähnliche Schulranzen für Schüler spätestens ab der fünften Klasse untragbar wurde und trotz heftigen Protests von Eltern und Lehrkörper einer Aktentasche weichen musste. Eingedenk des beträchtlichen Gewichts einer solchen Schüleraktentasche wurden die schlimmsten Haltungsschäden vorausgesagt, wenn man sein starrsinniges antiorthopädisches Fehlverhalten nicht schleunigst aufgäbe. Auf die Idee, als Kompromiss einfach den Schulrucksack-Trolley zu erfinden, kam damals natürlich keiner und so verfielen ganze Schuljungen-Generationen dem Scheuermann. Bei den Mädchen lagen die Dinge damals naturgemäss ganz anders und kein Junge - selbst ich nicht - konnte sich auch nur eine entfernt zutreffende Vorstellung davon machen. Auch heute ist die Umhüllung, in welcher die berufstätige Frau ihre Notwendigkeiten zur Arbeit und wieder nach Hause trägt, ein Thema, das den Rahmen eines armseligen Aufsatzes wie des vorliegenden einfach nur sprengen würde. Daher sei dazu geschwiegen.

Wenn man sich jedoch heute im urbanen Raum fortbewegt, kann man feststellen, dass die Aktentasche weitestgehend aus dem Straßenbild verschwunden ist. Heute dominiert tatsächlich der Rucksack, zu dem aber niemand mehr „Campingbeutel“ sagen würde. Es scheint nun für einen Mann und seine Identität ganz und gar unerlässlich zu sein, sich mit so einem Rucksack jeden Tag zur Arbeit zu begeben. Man kann darauf verzichten, wenn man den Arbeitsweg mit dem Auto bewältigt, solange man über einen Parkplatz in unmittelbarer Arbeitsnähe verfügt. Dann ersetzt das Auto gewissermaßen den Rucksack. Fährt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln, ist ein Rucksack obligatorisch.

Es gilt also, sich von zwei alten Idealen zu verabschieden: Das erste ist die vorwiegend selbstbestimmte Arbeit anstelle der fremdbestimmten abhängigen Erwerbsbeschäftigung. Um was für eine fremdbestimmte Arbeit es sich handelt, ist erst einmal zweitrangig, wenn man nur an fünf Tagen in der Woche seinen Rucksack dorthin tragen kann. Ich kann das gerade am eigenen Leib erfahren. Zum eigentlichen Arbeiten bin ich in der ersten Woche noch nicht gekommen, weil ich ja erst eingearbeitet werden muss. Den Weg zur Arbeit  - und vor allem wieder nach Hause - habe ich aber schon lieb gewonnen und lasse ihn mir auch einiges kosten.  Das zweite Ideal ist die taschenlose Existenz. Ein Mann muss nun mal ständig irgendwelchen Kram mit sich herumtragen. Das ist seit der Steinzeit so. Und jetzt packe ich meinen Rucksack. Für morgen.

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