Der opponierbare Daumen war zweifellos ein gewaltiger Sprung in der Evolution. Schließlich verdanken wir dieser anatomischen Marotte, die wir nur allzu oft geringschätzen oder als selbstverständlich hinnehmen, unsere gesamte Kultur. Denn weder kann man ohne den Daumen einen Griffel anständig führen, noch eine Handytastatur sinnvoll steuern. Alles hängt am opponierbaren Daumen, über den die Neuweltaffen - im Gegensatz zu den Affen der Alten Welt - nun mal nicht verfügen. Zivilisation und Kultur bleiben für sie unerreichbar, weil sie sich nicht mal eine Hose zuknöpfen könnten. Selbst die sagenhafte Intelligenz der Delphine nutzt denselben in technischen Fragen rein gar nichts, weil sie ohne Daumen nun mal kein Feuerzeug ankriegen. Ohne Daumen kann man darum auch gleich im Wasser bleiben. Dort kann man wenigstens nirgends runterfallen, weil man sich ohne Daumen schließlich auch nicht richtig festhalten kann.
Nun ist die Erfindung des Automobils ganz unbestreitbar eine der Sternstunden in der technischen Evulotion der Menschheit, innerhalb derer die Entwicklung der Windschutzscheibe einen großen Schritt nach vorn markiert. Dass sie im Winter gerne zufriert, konnte keiner vorhersehen, sonst hätte man gleich irgendeinen Frostschutz eingebaut. (Genau, wie man Brillengläser irgendwie beschlagfrei konstruiert hätte, wäre man davon ausgegangen, dass man dazu regelmäßig eine Mund-Nase-Bedeckung trägt.) So entstand über kurz oder lang die Frontscheibenabdeckung, die man in die Vordertüren einklemmen muss, damit sie einem bei Wind nicht davonfliegt. Für dieses Einklemmen ist wiederum ein Daumen sehr praktisch, wenn nicht unverzichtbar. Wozu man seinen Daumen im Alltag noch alles benötigt, merkt man spätestens dann, wenn er beim Zuschlagen der Vordertür immer noch die Plane festhält und darum notwendigerweise mit eingeklemmt wird. Man versteht danach unmittelbar, welcher Vorteil einem aus dem Daumen erwächst und warum sich Neuweltaffen zum Beispiel nicht den Po abwischen können.
Eine weitere Kulturtechnik, die den Neuweltaffen nicht zur Verfügung steht, ist das Adventskranzbinden. Meine Frau bat mich, ihr dafür etwas Reisig mitzubringen. Ich dachte: Nichts leichter, als das. Außerdem war ich gespannt, wie das Reisig bei der Kranzfertigung zum Einsatz kommen würde. Voriges Jahr wurde das Tannengrün um einen fertigen Strohreifen gebunden. Vielleicht wollte sie nun zunächst einen Reifen aus Reisig flechten? Unter „Reisig“ stellte ich mir dürre Zweige und Äste vor, wie sie ein altes Weiblein im Walde aufsammelt und heimschleppt, um damit Feuer zu machen. Ich freute mich schon darauf, aus den Reisighaufen im Baumarkt ein schönes Bündel für meine Frau auszusuchen. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass im Erzgebirge die Hasen Hoosn und die Hosen Huusn haasn. Tannengrün heißt hier Reisig. Und der Daumen ist „dr Daum“. Glück auf!
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