Mach was draus!

Die Kinder werden so schnell groß und brauchen unseren Rat. Was soll man Ihnen bloß mit auf den Weg geben? 


In der Region, in der ich jetzt Bahn fahre, ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass man nicht unaufgefordert in eine Sitzgruppe eindringt, in der schon jemand sitzt. Auch dann nicht, wenn dort noch drei freie Plätze sind. Das war schon vor Corona so und nur sehr verwegene und ausgesprochen leuteselige Reisende sprachen einen an, ob man sich dazu setzen dürfe. Und das auch nur im Notfall. Trotzdem finden in den zwei Wagen fast immer fast alle ihren Platz. Manchmal stehen zwei Schulklassen auf einem Bahnsteig, steigen ein und verteilen sich, ohne, dass ich meine Sitzgruppe teilen muss. 


In der Gegend, in der ich früher immer Bahn gefahren bin, gab es dieses Gesetz nicht. Dort musste man froh sein, wenn man gefragt wurde, bevor sich einer einem auf den Schoß setzte. Das war alles nicht sehr angenehm. Immerhin muss ich anerkennen, dass ich meine bloße Existenz einer Begegnung zweier junger Leute in der Bahn in jener Region verdanke. Das waren aber auch ganz andere Zeiten und die jungen Leute waren, wie sich im Nachhinein herausstellte, immerhin meine Eltern, mit denen ich wenig später eine Wohnung, den Esstisch und noch einiges mehr teilte. Um in ihrer eigenen Blase unterwegs zu sein, zwängen sich Menschen heute gern in ein Auto oder fahren, um sich nicht zwängen zu müssen, in SUVs oder Vans. Dort begegnen sie sich dann auch nicht mehr und es ist schwer vorzustellen, welche Existenzen sich durch diesen Umstand alle nicht ereignen und niemals ereignen werden. Als ich meinem Dreieinhalbjährigen erzählte, wie seine Mutter und ich uns kennengelernt hatten, wollte er wissen, wo er denn da gewesen sei. Ich war einigermaßen ratlos. Die Antwort, dass es ihn nicht gegeben hätte, akzeptierte er nicht. 


Ehrlich gesagt kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es mich einmal nicht gegeben hat. An Ereignisse vor meiner Geburt kann ich mich zwar auch nicht erinnern, aber das hat nichts zu sagen. Es gibt so vieles, woran ich mich nicht erinnern kann, obwohl es mich doch zweifellos gegeben hat. Aber was hätte ich dem Jungen sagen sollen, wenn seine Mutter und ich uns nicht begegnet wären, oder noch schlimmer, wenn meine Eltern sich nicht an jenem Tage in der Bahn getroffen hätten? Dass es einen gibt, ist doch extrem unwahrscheinlich und trotzdem ist man da. Jetzt mach was draus!

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