Heimat ohne Ort

Wenn ich im Erzgebirge auch nicht gerade Freunde gefunden habe, bin ich trotzdem hier zu Hause, weil und solange hier noch jemand auf mich wartet. 



Mit dem Monat Oktober endet auch mein Deutschlad-Ticket-Abo. Ich habe mich mit der Kündigung sehr schwer getan, aber ich muss meinen Wohnort erst einmal nicht mehr verlassen und meine finanzielle Situation gestattet es nicht, hier als Sponsor aufzutreten. Schade, aber wenn man nirgendwo hinfahren muss, hilft selbst ein kostenloser Nahverkehr nicht mehr weiter. Genau genommen bin ich damít allerdings einen Schritt über den kostenlosen Nahverkehr hinausgegangen. Der kostenlose Nahverkehr ist nur die Leiter. Wenn man wirklich weiterkommen will, muss man die Leiter wegwerfen und das bedeutet, einfach zu Hause zu bleiben. Offenbar haben wir den Prozess der Sesshaftwerdung noch nicht ganz durchlaufen.

Natürlich hat alles wieder seine Vor- und Nachteile. Nomaden können es sich beispielsweise gar nicht leisten, so viel Kram zu besitzen, den sie dann nicht mit vertretbarem Aufwand weggeschleppt kriegen. Das muss man sich wirklich mal überlegen. Außerdem klebt der Nomade nicht an seiner Scholle und macht deswegen nicht so ein Gewese um sein lieb Heimatland. Weil er nämlich gar keins hat. Konflikte gibt es eben, wenn zwei Nomadengruppen gleichzeitig denselben Campingplatz beanspruchen. Der Vorteil der Sesshaftigkeit sollte unter anderm darin liegen, gerade diesen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Aber das hat nicht geklappt, wie die ganze Sesshaftwerdung eben nicht so richtig konsequent durchgezogen wird. Schon zur Arbeit zu pendeln oder in den Urlaub zu fahren sind schon wieder Zugeständnisse an eine nomadisierende Lebensweise.

Der Erzgebirger ist ja nun sehr heimatverbunden und würde das Deutschland-Ticket vielleicht sogar eher Heimat-Ticket nennen. "Vergaß dei Hamit net", also "Vergiss deine Heimat nicht" schreibt man sich hier gerne auf die Heckscheiben. Das ist zwar einerseits ein Zitat des hiesigen Heimatdichters Anton Günther, doch andererseits fehlt dem Satz doch einiges an Schöpfungshöhe, um nicht wieder als Allerweltssatz zu gelten. Er sagt auch nicht wirklich etwas über den Heimatbegriff aus. Nun weiß ich zu wenig über Anton Günther, um darüber zu urteilen, aber wenn man unter Heimat seine identitätsstiftende Herkunft versteht, die man eben nicht vergessen soll, kann ich da gut mitgehen. Das muss aber nicht der Ort und die Gegend sein, wo man geboren ist. Man muss auch nicht lange irgendwo gelebt haben, um sich mit einem Ort, einer Gegend zu identifizieren. Da halte ich es eher mit Reinhard Mey: "Heimat ist immer, wo wir Freunde finden. Wo immer jemand auf uns wartet, da ist zu Haus."

Kommentare

  1. Ich finde Deine Stories immer ganz schön. Tolle Ideen, witzig formuliert, persönlich - manchmal kann ich die angebrannte Milch auf den Herd eurer Nachbarn riechen. Allein die Grafiken mindern in letzter Zeit die Wirkung. Da wird mir was vorgegaukelt, was von ganz wo anders als von Dir oder aus dem Erzgebirge kommt.

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