Probleme beim Stuhlgang

Erinnerungen lassen sich fälschen, manipulieren oder überschreiben. Die Wahrheit will man manchmal lieber nicht wissen.


Ich weiß jetzt, wie ich mein goldenes Ringlein eingebüßt habe. Aber Manches was einem widerfährt, ist so absurd oder auch so lächerlich, dass man es lieber gar nicht erst in seine Erinnerungen hineinlässt. Stattdessen erfindet man eine Ersatzerinnerung; eine Geschichte, die in sich schlüssig und plausibel ist und die den Platz der echten Erinnerung einnimmt. Als ich gemerkt hatte, dass mein Ring verschwunden ist, wusste ich sofort: Er ist mir bei meinem Sturz mit dem Fahrrad vom Finger gerutscht. Ich bin nämlich am selben Tag mit dem Fahrrad in den Kindergarten gefahren. Um nicht an der Baustellenampel warten zu müssen, wollte ich auf den Gehweg fahren, musste also die Kurve etwas enger nehmen und da lag ich plötzlich beide Arme ausgestreckt auf dem Trottoir, keine Ahnung, wie. Mir war aber nichts passiert, dem Fahrrad auch nicht und so fuhr ich weiter.

Ich kann mich so schön selbst bescheißen. Als ob es erlaubter wäre, nach dem Überfahren einer roten Ampel auf dem Gehweg weiterzufahren. Vielmehr begeht man gleich zwei Verstöße. Wäre ich abgestiegen, hätte das Fahrrad an der Ampel vorbei geschoben und wäre auf dem Gehweg bis zum Ende der Baustelle gelaufen und von da wieder auf die Straße - das wäre korrekt gewesen. Wäre, wäre, Fahrradkette. Nicht mehr zu ändern. Und zur Strafe: Ring weg. Noch am selben Abend bin ich wieder runter und habe alles abgesucht. Vergebens. Das ist doch eine ordentliche, ja mit dem doppelten Regelverstoß sogar ein bisschen heldenhafte Geschichte.

Als ich aber kurz danach auf dem Klo saß, musste ich an einen Zweizweiler denken, der mir öfter auf dem Klo einfällt: "Zum Arschwisch nehme man der Blätter vier: Vorwisch, Nachwisch, Hauptwisch und Polier." Ich muss dann immer sehr breit grinsen. Doch diesmal fror mir dabei das Gesicht ein, denn ich erinnerte mich, dass ich mehr als einmal erlebt hatte, dass mir beim Arschwisch beinahe der Ring, der eben recht locker saß, runtergerutscht wäre. Jedes mal dachte ich: Glück gehabt. Nun habe ich es etweder wirklich nicht gemerkt oder die traumatische Erinnerung mit der Fahrradsturzgeschichte überschrieben. Ich sollte dabei bleiben und die Wahrheit in Frieden ruhen lassen. Sonst kriege ich vielleicht noch Probleme beim Stuhlgang.

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